22.07.2025 Leseförderung mit KI – Was künstliche Intelligenz im Klassenzimmer wirklich kann

Wenn das Wort „Künstliche Intelligenz“ fällt, denken viele zuerst an ChatGPT, automatische Übersetzungen oder Roboterstimmen. Aber KI kann viel mehr – besonders im Bereich der Bildung. Inzwischen gibt es eine Reihe spannender Ansätze, wie KI-gestützte Werkzeuge gezielt zur Leseförderung im Unterricht eingesetzt werden können. Die Technik ist längst da – die Frage ist: Wie setzen wir sie sinnvoll, pädagogisch verantwortungsvoll und gewinnbringend für unsere Schülerinnen und Schüler ein?

Was KI in der Leseförderung so spannend macht, ist ihr Potenzial zur individuellen Unterstützung. KI kann in Sekundenschnelle analysieren, ob ein Kind Wörter korrekt ausspricht, wo es stockt, oder ob es bestimmte Satzstrukturen besser versteht als andere. Sie wertet Daten aus, erkennt Muster, und gibt Rückmeldung – sofort, ohne Wartezeit und mit dem Potenzial, ganz auf das jeweilige Kind zugeschnittene Förderimpulse zu geben. Und das entlastet nicht nur die Lernenden, sondern auch die Lehrkräfte, die sonst oft zwischen Diagnose, Förderung und Dokumentation jonglieren müssen.

Ein praktisches Beispiel ist das Tool „Reading Progress“ von Microsoft. Integriert in Microsoft Teams können Schülerinnen und Schüler Texte laut vorlesen – am Tablet, Laptop oder PC. Die KI zeichnet den Vortrag auf und analysiert, wie flüssig gelesen wurde, ob Wörter ausgelassen oder falsch ausgesprochen wurden und wie sicher sich das Kind im Satzbau bewegt. Besonders hilfreich: Die Rückmeldung erfolgt visuell – in Form von Markierungen im Text, die zeigen, wo Unsicherheiten lagen. Als Lehrkraft erhält man eine Übersicht über die Lesegenauigkeit, Lesegeschwindigkeit und Intonation. Und das Beste daran: Die Kinder können ihren Fortschritt über mehrere Wochen hinweg selbst mitverfolgen. Das motiviert – vor allem jene, die beim Lesen oft mit Frustration kämpfen.

Ein weiteres Highlight ist LaLeTu, der sogenannte Lautlesetutor von Klett. Er wurde gezielt für den Einsatz ab Klasse 5 entwickelt und funktioniert ebenfalls KI-basiert. Die Schülerinnen und Schüler lesen dabei einen kurzen Text laut vor, der Tutor hört zu – also die KI – und gibt direkt Rückmeldung. Bei Unsicherheiten oder Fehlern werden Hinweise eingeblendet, und es kann erneut gelesen werden. Anders als bei klassischem Tandemlesen oder Lesetraining mit der Lehrkraft, bleibt die KI geduldig. Sie urteilt nicht, sie wird nicht müde, sie wertet sachlich aus. Viele Schülerinnen und Schüler empfinden das als entlastend und trauen sich mehr zu. Gerade für leseschwache Kinder ein wichtiger Faktor.

Natürlich ersetzt KI nicht den menschlichen Kontakt, das pädagogische Feingefühl oder die sozialen Komponenten des Lesens. Aber sie bietet eine zusätzliche Ebene der Unterstützung, die viele von uns gut gebrauchen können – gerade in großen, heterogenen Lerngruppen. Und sie lässt sich niedrigschwellig einsetzen. Oft reichen schon 10 Minuten am Tag, etwa im Wochenplan oder als Stationenarbeit. Man könnte z. B. drei Tablets mit KI-Tools einrichten, an denen Schülerinnen und Schüler individuell arbeiten, während andere in Tandems lesen oder Fragen zum Text bearbeiten. Wer mit freien Lesezeiten oder Leseportfolios arbeitet, kann die KI gut zur Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler nutzen: „Lies den Text laut vor, schau dir danach deine Lesekurve an – wie war’s heute?“ Solche Selbstbeobachtung ist oft viel motivierender als eine Note.

Eine kreative Unterrichtsidee ist der Vergleich zwischen menschlicher und KI-generierter Textverarbeitung. Die Schülerinnen und Schüler lesen eine Kurzgeschichte und schreiben danach eine eigene Zusammenfassung. Danach gibt man den gleichen Text in eine KI (z. B. ChatGPT) und lässt sich ebenfalls eine Zusammenfassung erstellen. Gemeinsam wird besprochen: Was hat die KI richtig erkannt? Wo hat sie geschludert? Was ist vielleicht besser gelungen als in der eigenen Version – und wo fehlen wichtige Details? So fördern wir nicht nur Lesekompetenz, sondern auch kritisches Denken im Umgang mit KI.

Natürlich gibt es Grenzen. Datenschutz ist ein Thema – gerade bei Programmen, die Tonaufnahmen auswerten oder Schülerdaten speichern. Auch die Gefahr, dass sich Kinder zu sehr auf die KI verlassen, ist nicht von der Hand zu weisen. Und wir dürfen nicht vergessen: Leseförderung ist mehr als nur Technik. Es geht um Begegnung mit Sprache, mit Geschichten, mit sich selbst. Die KI kann dabei helfen – aber sie sollte nie das Herzstück ersetzen.

Fazit: Künstliche Intelligenz ist kein Allheilmittel, aber ein vielversprechendes Werkzeug, das unsere Arbeit im Klassenzimmer sinnvoll ergänzen kann. Wer den Mut hat, sich darauf einzulassen, wird schnell merken, dass es gar nicht so kompliziert ist – und dass es sich lohnt, neue Wege zu gehen.


Vertiefende Links und Materialien:

https://www.literacy.at/fileadmin/literacy/Redaktion/Dokumente/literacy-broschuere-lesefoerderung-mit-ki.pdf

https://ernst-klett-verlag.de/pressemitteilungen/lesefoerderung-trifft-auf-ki-laletu-revolutioniert-das-lesenlernen/

https://learn.microsoft.com/de-de/training/educator-center/?source=mec

https://www.stiftunglesen.de/loslesen/digitales-lesen